Im Gegensatz zu anderen Schweizer Städten hat sich in Biel bis jetzt keine neue, offene Drogenszene gebildet. Auch die vorgefertigten Crack-Steine sind hier bisher nicht angekommen. Die Stadt Biel scheint aus ihrer langen Geschichte mit Drogenkonsum gelernt zu haben.
Mitte der 1980er Jahre bildete sich in Zürich auf dem Platzspitz eine grosse, offene Drogenszene, die in den Jahren darauf weltweit für Schlagzeilen sorgte. Bereits einige Jahre zuvor wollte die Stadt Biel die öffentliche Diskussion über die Drogenproblematik anstossen. Dies mithilfe einer Broschüre mit dem Titel «Drogen in Biel», die im Juni 1982 bei sämtlichen Bieler Haushalten im Briefkasten lag. Nicht weniger als 50 Seiten umfasste die Broschüre. Darin enthalten waren Informationen über harte und weiche Drogen, Tipps für den Umgang damit, sowie Hinweise darauf, wo sich Betroffene Hilfe holen können. Das Ziel: Bieler Jugendliche vom Drogenkonsum abzuhalten.
Quelle: Stadtbibliothek Biel
Herausgeber dieser Broschüre war der Gesamtgemeinderat. Der Drogenkonsum und die daraus entstehende Abhängigkeit zählten um 1982 zu den heikelsten Problemen der Stadt Biel. Laut damaligen Medienberichten war die Stadt Biel die erste Schweizer Gemeinde, die ihrer Bevölkerung ein solches Informationsheft zustellen liess.
Anfang der 80er Jahre wurde in Biel von den harten Drogen primär Heroin konsumiert. Kokain war kaum ein Thema. Die Anlauf- und Beratungsstelle schätzten damals die Zahl der «Fixern» auf 500 bis 600. Die Bieler Polizei ging von höheren Zahlen aus. Das geht aus einem Bericht hervor, der zu dieser Zeit zuhanden der Fürsorgedirektion des Kantons Bern verfasst wurde.
So extrem wie am Zürcher Platzspitz war die Situation in Biel nie. Es gab aber trotzdem einige Orte in der Innenstadt, wo der Drogenkonsum und der Handel sichtbar waren. So bildete sich zum Beispiel am sogenannten «Bermuda-Dreieck» eine offene Drogenszene. In den Medien war die Rede von Vandalismus und gefährlichen Situationen. Politische Vorstösse forderten mehr Personal für die Stadtpolizei, um die Probleme in den Griff zu kriegen.
Situation seit Jahren stabil
Wie viele Menschen in Biel heute harte Drogen konsumieren, ist schwierig zu sagen. Einen möglichen Anhaltspunkt bieten Zahlen der Stiftung für Suchthilfe CONTACT, die in Biel die Drogenkonsumräume an der Murtenstrasse betreiben. Aktuell sind dort knapp 300 volljährige Personen registriert, die in der Anlaufstelle regelmässig oder gelegentlich harte Drogen konsumieren. Sie alle haben ihren Lebensmittelpunkt in der Region Biel-Seeland-Berner Jura.
Verglichen mit vor 40 Jahren hat sich die Situation in Biel beruhigt. Der Drogenkonsum und -handel ist die letzten Jahre auf einem nicht-problematischen Niveau stabil geblieben. So beschreibt es der städtische Sicherheitsdelegierte André Glauser. Das belegen beispielsweise die Anzahl Reklamationen aus der Bevölkerung. Anwohnerinnen und Anwohner beklagen sich bei der Stadt nur selten über herumliegende Spritzen oder über Konsum im öffentlichen Raum.
Die Zahl der Meldungen aus der Bevölkerung zum Drogenkonsum in der Öffentlichkeit hat in Biel auch im Jahr 2023 nicht zugenommen. Derweil kämpften andere Schweizer Städte in den letzten Monaten zunehmend mit Drogenkonsum und -handel in der Öffentlichkeit. Die Medien sprachen von offenen Drogenszenen in Aarau, Basel, Chur oder Genf. Auf Bildern waren Menschen zu sehen, die an Bahnhöfen oder in Pärken Drogen konsumieren.
Viel Erfahrung im Umgang mit Drogen
Eine mögliche Erklärung dafür, dass die Probleme aus anderen Städten (vorerst) nicht ins Seeland übergeschwappt sind, ist laut André Glauser, dass die Stadt Biel schon viel Erfahrung hat im Umgang mit Drogen. «Die Stadt Biel hat ein gutes Angebot, um Menschen zu helfen.» Diverse Institutionen aus dem Gesundheitsbereich befassen sich mit der Thematik. Weiter entlastet die Anlaufstelle der Stiftung CONTACT mit ihren Drogenkonsumräumen die Situation extrem. Denn dort haben Suchtbetroffene eine Möglichkeit, in einem geschützten Rahmen ihrem Konsum nachzugehen, anstatt im Freien oder zu Hause zu konsumieren.
In Biel gibt es seit 2001 Drogenkonsumräume. Damals öffneten in der Gerbergasse das Sozialbistrot «Yucca» und die Kontakt- und Anlaufstelle «Cactus» ihre Türen. In den darauf folgenden Jahren kam es zu Konflikten zwischen den Suchtbetroffenen und den Anwohnerinnen und Anwohnern. Das «Yucca» musste 2011 wegen finanzieller Schwierigkeiten schliessen und auch der «Cactus» musste nach neuen Lokalitäten suchen. 2014 nahm die Anlaufstelle ihren heutigen Standort an der Murtenstrasse 68, ganz in der Nähe des Bahnhofs Biel, in Betrieb.
© 2023 Aline Studer
Für einige Zeit sah es danach aus, als könnte die Anlaufstelle nur vorübergehend am neuen Standort bleiben. Wäre das Autobahnprojekt A5-Westast realisiert worden, hätte man das Gebäude abreissen müssen. Da das Projekt Westast jetzt beerdigt ist, können die Drogenkonsumräume bleiben. Simone Schär von der Stiftung CONTACT ist erleichtert über diese Entwicklung. Als Leiterin des Bereich 1 ist sie unter anderem für sämtliche Anlaufstellen im Kanton Bern verantwortlich. In Biel einen neuen Standort für die Drogenkonsumräume zu finden, wäre sehr schwierig gewesen.
Viele Bielerinnen und Bieler halten das Angebot zwar für eine gute Sache, wollen es aber nicht in ihrer Nachbarschaft haben, so Schärs Einschätzung. Zudem müssen die Drogenkonsumräume im Zentrum und einfach erreichbar sein, damit die Suchtbetroffenen tatsächlich auch dort konsumieren gehen. Das zeigen auch Erfahrungen aus der Stadt Zürich: Im Oktober 2022 wurden Konsumräume verlegt. Der Ersatzstandort war für die Suchtbetroffenen jedoch zu weit weg. In den Monaten darauf bildete sich in einem Park im Stadtzentrum eine offene Drogenszene.
Nicht ganz aus der Öffentlichkeit verschwunden
Gerade in der Bieler Innenstadt gibt es nach wie vor es einige Hotspots, wo offen harte und weiche Drogen konsumiert werden. So treffen sich zum Beispiel Jugendliche im Sommer am Strandboden zum Kiffen. An anderen Orten weisen besondere Abfalleimer für Spritzen darauf hin, dass sich Menschen hier Drogen spritzen und wohl auch damit dealen. Diese finden sich zum Beispiel auf der Terrasse der Stadtkirche in der Altstadt, oder beim Heuerpark.
Die Einführung von speziellen Abfalleimer für die Entsorgung von gebrauchten Spritzen war in der Stadt Biel bereits in den 90er Jahren Thema. Dieses Anliegen hatte damals aber auch Kritiker auf den Plan gerufen: In einem Leserbrief im «Bieler Tagblatt» im Oktober 1990 etwa wurden Bedenken geäussert, dass diese Spritzenkübel ein erster Schritt Richtung Legalisierung von harten Drogen seien. Der Leserbriefautor, der später in Biel als nebenamtlicher Gemeinderat tätig war, befürchtete, dass diese speziellen Abfalleimer den Drogenhandel und -konsum noch verstärken würden.
© 2023 Aline Studer
Ein seit Jahren bekanntes Phänomen sind in Biel die Drogenwohnungen: Billige Wohnungen oder Häuser, die alleine dafür gemietet werden, damit Abhängige dort Drogen konsumieren gehen. So zum Beispiel in der Bieler Altstadt. In solchen Wohnungen wird häufig auch mit Drogen gehandelt, so André Glauser. «Ein grosser Teil des Drogenhandels passiert heutzutage nicht mehr in der Öffentlichkeit, sondern im Verborgenen.»
Die Stadt sei daran, gegen diese Drogenwohnungen vorzugehen. Zusammen mit Vermietenden und der Polizei schaue man, dass die Situation nicht ausartet und für die Anwohnerinnen und Anwohner nicht zum Problem wird. Interventionen von Seiten der Polizei haben laut Glauser aber oft auch zur Folge, dass sich die Szene an einen anderen Ort hin verlagert.
Crack-Steine in Biel kaum verbreitet
In der Schweiz wurden in den letzten Monaten zunehmend Crack konsumiert. Bei dieser günstigen Droge handelt es sich um Kokain vermischt mit Natron, in Form von vorgefertigten Kristallen. So wirkt die Droge zwar schneller, das High lässt aber schneller auch wieder nach. Beispielsweise in Genf ist die Zahl der Crackkonsumierenden stark angestiegen. Andere Schweizer und deutsche Städte beobachten eine ähnliche Entwicklung.
Auch in dieser Hinsicht ist die Stadt Biel eine Ausnahme. Zwar hat laut Simone Schär Kokain Heroin in der CONTACT-Anlaufstelle schon lange als meist konsumierte Droge abgelöst. Der Konsum von vorgefertigten Crack-Steinen ist aber bisher nur eine Randerscheinung. Die Klientinnen und Klienten der Anlaufstelle konsumieren dieses Produkt kaum. Auch ausserhalb der Konsumräume tauchten diese Crack-Steine in Biel bis jetzt nur vereinzelt auf, so André Glauser.
Dafür könnte es verschiedene Gründe geben. «Kokain, auch in Form von Crack, wird in Biel bereits seit 10, 15 Jahren konsumiert», so Schär. In diesem Fall mischen die Suchtbetroffenen das Kokain und das Natron selber. Das kann eine Art Ritual sein, von dem man sich nicht trennen will. «Wie eine Zigarette selber drehen.» Weiter sind die Crack-Steine zwar günstiger, aber auch weniger rein. Wenn die Klientinnen und Klienten Crack selber herstellen, haben sie bessere Kontrolle über den Stoff, den sie konsumieren.
Ungewisse Entwicklung auf dem Drogenmarkt
Nichtsdestotrotz wollen sowohl die Vertretenden der Stadt Biel, wie auch der CONTACT-Anlaufstelle die Situation gut im Auge behalten. Man spüre beispielsweise eine Veränderung bei den Drogenarten, verfügbar sind. So kommen langsam neue Opiate, wie Fentanyl oder Oxycodon nach Biel. Gemäss Simone Schär sind das bis jetzt zwar erst Einzelfälle. «Es ist aber schwierig einzuschätzen, in welche Richtung sich das noch entwickeln wird.»
Bei Fentanyl oder Oxycodon handelt es sich um starke Schmerzmittel, die ein Arzt oder eine Ärztin verschreiben kann. Man muss sie sich also nicht zwingend illegal auf der Gasse besorgen. Ausserdem werden die Medikamente teilweise in Tablettenform eingenommen. Laut Simone Schär ist es dadurch möglich, dass jemand seinen Drogenkonsum über lange Zeit geheimhalten kann.
Ebenfalls könnte es sein, dass Heroin in Zukunft schlechter verfügbar sein wird. Ein grosser Teil davon kommt aus Afghanistan in die Schweiz. Die dort herrschenden Taliban haben den Anbau von Mohn verboten, aus dem Heroin hergestellt wird und zerstören die Mohnfelder systematisch. «Im Moment kommt noch genug Heroin zu uns», so Schär. Wie lange die Bauern in Afghanistan noch Opiumvorräte haben, ist aber unklar.
In Zukunft wird es vermutlich neue Wege geben, um die Schweiz mit Heroin zu versorgen. Es ist aber nicht auszuschliessen, dass die Droge viel teurer wird. Das wiederum würde sich laut Simone Schär auf die Kriminalität auswirken. Denn irgendwie müssen die suchtbetroffenen Menschen ihren Konsum finanzieren können.
Hier können sich Suchtbetroffene Hilfe holen
- Berner Gesundheit: Suchtberatung und -therapie, Prävention
- Blaues Kreuz Bern-FreiburgSolothurn: Suchtprävention, Beratung und Integration
- CONTACT Stiftung für Suchthilfe: Suchtberatung, Anlaufstellen mit Drogenkonsumräumen, betreute Arbeitsplätze, begleitetes Wohnen
- Kirchlich getragene Gassenarbeit Biel: Aufsuchende soziale Arbeit in der Öffentlichkeit
- Selbsthilfe BE: Selbsthilfegruppen zu diversen Themen
- Suprax Zentrum für ambulante Suchtbehandlung: Substitutionsbehandlungen für Personen mit Opioidabhängigkeit